Kundenindividuelle Massenproduktion
veröffentlicht am %01-%000-%2010
Zusammenfassung
Der Kunde von heute wird mit standardisierter und uniformer Einheitsware abgefertigt. Individualität ist die Ausnahme und meistens nicht bezahlbar. Die sogenannte Variantenvielfalt der Gegenwart wird durch eine übertriebene, oftmals unstrukturierte Produktdiversifikation konstruiert: das Ergebnis ist ein unüberschaubares Angebot standardisierter Massenware. Dabei sind die Kunden genervt von der zeitraubenden Suche nach einem passenden Produkt. Männer in schlecht sitzenden Anzügen sind nur ein Beispiel von vielen.
Kundenindividuelle Massenproduktion ist die Wettbewerbsstrategie der Zukunft, nicht nur in der Bekleidungsindustrie, sondern in nahezu allen produzierenden Branchen. Die zu erwartende weitere Polarisierung und Individualisierung des menschlichen Verhaltens und die damit verbundene Differenzierung von Bedürfnissen macht eine immer feinere Segmentierung des Marktes — bis hin zu einer Einzelkundenbearbeitung - erforderlich. Dabei läßt sich schon heute feststellen, daß die Facetten der kundenindividuellen Massenproduktion sehr zahlreich sind, das Konzept insgesamt aber erst am Anfang seiner Möglichkeiten steht. Durch die konsequente Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechniken eröffnen sich neue, wachstumsintensive Märkte, deren Ausmaße und Entwicklungen noch nicht abzuschätzen sind.
Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird das zukunftsweisende Potential der kundenindividuellen Massenproduktion am Beispiel der Bekleidungsindustrie dargestellt. Es werden die relevanten Prinzipien herausgearbeitet. Der Schwerpunkt liegt in der Anwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien bei Herstellung und Absatz kundenindividueller Bekleidung.
Einführung
Die informationstechnische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat das Wirtschaftsleben nachhaltig beeinflußt. Die digitale Vernetzung macht aus räumlich kleinen Märkten große und Entfernungen, die traditionell als Grenzen wirtschaftlicher Aktivitäten galten, können mit Hilfe der neuen Technologien mühelos überwunden werden. Im Spannungsfeld von Globalisierung, Standardisierung und Individualisierung ist nicht nur eine flexible Her- und Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch ein intensiver und individueller Kontakt zum Kunden möglich geworden. Die digitale Revolution diktiert neue Spielregeln und ermöglicht eine direkte Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden. Die Chancen, die sich im Hinblick auf die Individualisierung von Produkten und Leistungen daraus ergeben, werden jedoch erst ansatzweise genutzt. Einerseits versperrt die traditionelle Sichtweise im Massenmarketing den Blick auf die neuen Potentiale - andererseits fehlt es an Strategien, um Konsumenten effizient zu erreichen. Dabei erscheint es zeitgemäß, dauerhafte Kundenbeziehung aufzubauen. Durch Relationships’ sind Unternehmen nicht nur in der Lage die Vorlieben und Wünsche ihrer Kunden zu ermitteln, sie können dieses Wissen auch gezielt zum Aufbau eines höheren Konsumentennutzens einsetzen. Unternehmen müssen die dynamischen Marktbedingungen nutzen, um flexibel auf veränderte Kundenwünsche zu reagieren. Nur so gelingt es ihnen langfristig Wettbewerbsvorteile aufzubauen.
Vor dem Hintergrund einer Explosion der Wahlmöglichkeiten, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat, sieht sich der Verbraucher einer immer größer werdenden Vielfalt gegenüber. Er verliert im Meer der Massenprodukte den Überblick. Während Güter, Produkte und Leistungen in immer neuen Varianten auf den Märkten angeboten werden, steigt die Nachfrage nach individuell zugeschnittenen Angeboten. Die Unternehmen reagieren auf diesen Trend, indem sie dem "Design for Customers' das 'Design by Customers' entgegensetzen: Den Kunden intensiv in die Produktion miteinzubeziehen gilt als Erfolgsgeheimnis. Dabei kann es jedoch nicht darum gehen, Individualität um jeden Preis zu erzeugen, vielmehr gilt es innerhalb einer sinnvollen Spanne von Differenzierungsmöglichkeiten eine effiziente Fertigung zu garantieren. Wie kann diese standardisierte Individualität funktionieren? Wie können Massenprodukte individuell Produziert werden, ohne ihren Hauptvorteil - den niedrigen Preis - auf’s Spiel zu setzen? Der Beantwortung dieser Fragen geht die vorliegende Arbeit gezielt nach. Sie versteht sich als Einführung in die komplexen Zusammenhänge der kundenindividuellen Massenproduktion. Sie will - nicht zuletzt aus Eigeninteresse des Autors, der sich für die Ideen der Mass-Customization sehr begeistert - ermutigen.
Problemstellung
Der Engländer Adam Smith (1723-1790) wies als erster auf die Produktivität der Arbeitsteilung hin. Er veranschaulichte dies mit einem berühmt gewordenen Beispiel: „Ein Handwerker, der Stecknadeln produziert, kann selbst bei größtem Fleiß täglich nur wenige Nadeln herstellen, wenn er alle Arbeitsgänge selbst verrichten muss.“ Werden dagegen in einem Unternehmen zehn Arbeiter beschäftigt, „von denen einer das Material herrichtet, der andere es zieht und ein anderer [die Metallstifte] mit Köpfen versieht, wird auf Grund der Arbeitsteilung Arbeitszeit gespart.“ Durch den Einsatz von Geräten oder Maschinen kann ein Unternehmen an einem Tag Tausende von Nadeln herstellen.
In den Vereinigten Staaten liegt das Geburtsjahr der Massenproduktion um 1880, als der Amerikaner F.W. TAyLoR (1856-1915) seine Arbeit über rationelle Massenfertigung veröffentlichte. Dreißig Jahre später setzte sie der industrielle HENRY Ford (1863-1947) für die Erzeugung von Kraftwagen in die Praxis um:? „Give the customer any color they want, so long as it's black“. Diese Formel von Ford kann als das Credo der industriellen Massenproduktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelten.” In zwei Jahrzehnten produzierte Ford 6 Millionen Wagen des Modells T, die alle schwarz waren. Ford konzentrierte sich darauf, immer wieder dasselbe Produkt nach genormten Verfahren zu fertigen. Dieses bestand aus identischen Teilen und wurde am Fließband zusammengesetzt. Verglichen mit den relativ hohen Herstellungskosten individuell produzierender Handwerksbetriebe und kleinerer Unternehmen, die vor der Erfindung des Fließbandes die industrielle Landschaft dominierten,‘ bedeutete diese Vorgehensweise die perfekte Nutzung des Potentials der Massenfertigung.
Vor der industriellen Revolution produzierten viele Anbieter ihre Waren noch nach individuellen Kundenwünschen. Der Schneider fertigte für jede seiner Kundinnen ein Kleid nach Maß und der Schuster stellte für jeden Fuß den passenden Schuh her. Auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert hat sich die Situation für viele Branchen grundlegend geändert. Die moderne Massenproduktion hat dazu geführt, daß viele Hersteller ihre Erzeugnisse in Standardgrößen produzieren und zum Verkauf lagern. Dadurch verlor die Auftragsfertigung für viele Anbieter ihre ursprüngliche Bedeutung. Neben dieser Entwicklung ist seit längerer Zeit ein wachsender Trend der Individualisierung des Konsumentenverhaltens festzustellen. Diese Individualisierung hat zu einer Fragmentierung der Märkte geführt. Der Konsument verlangt wieder verstärkt auf seine besonderen Bedürfnisse abgestimmte Produkte. Dabei tritt der hybride Käufer zunehmend in den Blickpunkt wettbewerbspolitischer Überlegungen: Er macht die Forderung nach Leistungen mit hoher Qualität bei gleichzeitig niedrigem Preis zur Grundlage seiner Kaufentscheidung. Das bedeutet, daß der Kunde auf einen Seite Produkte des täglichen Bedarfs möglichst preisgünstig einkaufen will, er auf der anderen Seite jedoch auch einen Bedarf an Luxusgütern hat. Diese hybriden Konsumstrukturen bewirken in vielen Branchen eine Polarisierung der Nachfrage, also ein gleichzeitiges Wachstum des Hochund Niedrigpreissegmentes.
Klassische Segmentierungsansätze, die Leistungen an homogenen Nachfragergruppen ausrichten, erweisen sich angesichts solcher Entwicklungen als problematisch. Die strategische Herausforderung liegt dabei nicht allein in der simultanen Kostenführerschaft und Differenzierung des Angebots in einem Segment der Größe Eins, sondern in deren Umsetzung in allen, den
Gesamtmarkt berührenden Teilmärkten.
Ein umfassender Ansatz zur Lösung dieser Problematik ist die Mass-Customization-Strategie. Mass-Customization bedeutet, für jeden Kunden genau das Produkt bereitzustellen, das er wünscht, und zwar zum Preis eines vergleichbaren Standardproduktes. Dabei beruht Mass-Customization auf der Möglichkeit, computergestützte Informationssysteme mit neuen Produktionstechniken zu kombinieren.’ Solche vernetzten Systeme ermöglichen es dem Kunden, attraktive und maßgeschneiderte Produkte - wie sie im Normalfall nur im Handwerk üblich sind, zu erwerben."
In der Bekleidungsindustrie zeigt sich folgendes Bild: Konfektionswaren von der Stange sind Ladenhüter. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, daß ungefähr 50 bis 75 Prozent aller Männer keinen paßformgerechten Anzug im Handel finden. Die Folge sind unzufriedene Kunden, Überproduktionen beim Hersteller und große Lagerbestände im Handel. Ziel der Mass-Customization in der Bekleidungsindustrie ist es, nur noch das zu produzieren, was dem Kunden gefällt und paßt. Das kalifornische Unternehmen Software Sportswear verkauft z.B. Lizenzen für eine Technologie, die einen Anbieter für Bademode in die Lage versetzt, Bikinis für individuelle Körperformen anzufertigen. Eine mit einem Computer verbundene digitale Fotokamera nimmt dazu den Körper einer Käuferin auf. Nachdem diese sich ein geeignetes Bikinimodell ausgesucht hat, projiziert der Verkäufer ihr Bild auf den Computermonitor und nimmt mit einem elektronischem Stift die erforderlichen Anpassungen vor. Die Kundin kann sich dann im Bikini ihrer Wahl auf dem Bildschirm sehen. Zwei Wochen später erhält sie für den Preis eines „von der Stange“ gekauften Bikinis einen maßgeschneiderten.“
Mit dem Konzept der Mass-Customization begründet ein Unternehmen eine neue Form der Kundenbeziehung: der bislang unpersönliche und undifferenzierte Kontakt zwischen Unternehmen und Kunde wird durch eine persönliche, individuelle Beziehung ersetzt. Diese Entwicklung hat auch Meffert antizipiert. Er fordert, daß Wissenschaft und Praxis Marketing zunehmend als individualisiertes, vernetztes und multioptionales Beziehungsmanagement verstehen müssen.” Die grundlegenden Merkmale einer solchen integrierten Mass-Customization Konzeption sind die Optimierung des Herstellungsprozesses, die Vermeidung von Überproduktionen und die gleichzeitige Reduzierung der Lagerkapazitäten. Weiterhin findet, im Vergleich zur Herstellung und dem Vertrieb von Konfektionsware, eine stärkere Integration der Kundenwünsche statt. Die Lieferung paßformsicherer Kleidung ermöglicht den Aufbau von in einem zunehmend stagnierenden Markt. Die Rückverlagerung der Produktion in die Nähe des Verkaufsortes, und die Investition in neue Technologien kann darüber hinaus zu einer Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland führen."
Zielsetzung und Aufbau der Ausarbeitung
Kundenindividuelle Massenproduktion (Mass-Customization) ist eine neue und innvoative Wettbewerbsstrategie. Ziel dieser Strategie ist es, den klassischen Widerspruch zwischen Massenproduktion und Einzelfertigung zu überwinden und die Vorteile beider Produktionsformen zu verbinden. Dabei werden für jeden Kunden genau die von ihm gewünschten Produkte erstellt, zum Preis vergleichbarer Standardprodukte. Mass-Customization wird durch die konsequente Nutzung moderner Informations- und Produktionstechnologien ermöglicht. Erst die rasant fortschreitende Entwicklung der letzten Zeit hat Potentiale geschaffen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren.
Die vorliegende Arbeit ist in fünf Kapitel untergliedert:
- Problematik der kundenindividuellen Massenproduktion
- Grundlagen und Einflußfaktoren
- Wirtschaftliche und technische Situation in der Bekleidungsindustrie
- Fallbeispiele und Entwicklung von Handlungsempfehlungen
- Zusammenfassung und Ausblick
Im Rahmen der Ausarbeitung wird das zukunftsweisende Potential der Mass-Customization am Beispiel der Bekleidungsindustrie dargestellt und ihre relevanten Prinzipien herausgearbeitet. Der Schwerpunkt wird auf die Anwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien bei Herstellung und Absatz kundenindividueller Bekleidung gelegt. Optionen einer computergestützten Marketingplanung werden aufgezeigt, Möglichkeiten der Spezifikation und Erhebung individueller Kundenwünsche durch moderne E-Commerce-Anwendungen entworfen, Darüber hinaus werden das Individualisierungspotential flexibler Fertigungssysteme analysiert, sowie die Möglichkeiten einer informationstechnischen Integration über die gesamte Wertkette aufgezeigt. Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse und der Analyse von Fallbeispielen wird die integrierte Wertkette eines Mass-Customizers aufgebaut. Die unternehmensübergreifende, computergestütze Koordination bei Herstellung und Verkauf kundenindividueller Konfektion steht dabei im Vordergrund. Zentrales Anliegen ist es, Handlungsempfehlungen herauszuarbeiten. In einem Katalog werden kritische Erfolgsfaktoren behandelt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen abschließend zu einem Leitfaden zur Implementierung der Mass-Customization zusammengefaßt.