Beziehung im Person-Centered Leadership

veröffentlicht am %19-%958-%2012

Viele Führungskräfte sehen sich heute mit Organisationen konfrontiert, die durch einen hohen Grad an Komplexität gekennzeichnet sind. Die Herausforderungen unterscheiden sich dabei grundsätzlich von den Situationen und Fragen der Vergangenheit. Um als Organisation am Markt erfolgreich zu sein, reicht es nicht aus, sich auf den Antworten auszuruhen, die die Vergangenheit liefert.

»In Zukunft wird es wichtiger sein, sich gegenüber Neuem angemessen verhalten zu können, 
als Altes zu wissen und es zu wiederholen.«

  • Carl Rogers (1974)

Führungskräfte sollten ihr Vertrauen in die ungenutzten Ressourcen und Potenziale ihrer Mitarbeiter setzen. Sie sollten Arbeits- und Lernprozesse starten, mit denen man neuen Problemen begegnen kann. Um mit einem Team (gemeinsam) innovative Ideen und neue Lösungsansätze zu entwickeln, ist es notwendig, Muster der Vergangenheit loszulassen, eine im Entstehen begriffene Zukunftsmöglichkeit wahrzunehmen und aus dieser Wahrnehmung heraus zu handeln.

Seitdem ich mich mit Carl Rogers und dem Personzentrierten Ansatz beschäftige, frage ich mich, ob es möglich ist, das positive Menschenbild des Personzentrierten Ansatzes und seine Grundhaltungen – die sich in der personzentrierten Beratung und Therapie erfolgreich bewährt haben – auf die Führungsarbeit von Organisationen zu übertragen? Und wenn ja, ist das überhaupt sinnvoll? Könnte man so die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern oder sogar den wirtschaftlichen Erfolg erhöhen?

Der Personzentrierte Ansatz als Grundlage für ein Führungskonzept

Der Personzentrierte Ansatz kann als Metatheorie für eine konstruktive und kreative zwischenmenschliche Kommunikation verstanden werden und bietet damit eine wirkungsvolle Basis, um den vielfältigen Herausforderungen in der Führungsarbeit zu begegnen. Durch Person-Centered Leadership werden die Mitarbeiter einer Organisation befähigt, Verantwortung zu übernehmen, Lern- und Arbeitsprozesse selbst zu steuern und ihre Projekte gemeinsam zum Erfolg zu führen. Die Personzentrierte Führungskraft hat dabei eine unterstützende und fördernde Funktion. Sie schafft vor allem eine Atmosphäre der Freiheit und des Vertrauens, in der sich diese neue Art der Zusammenarbeit entwickeln kann.

»Ein Führer ist dann am besten wenn die Menschen kaum wissen, das er existiert. 
Nicht so gut wenn die Menschen ihm gehorchen und ihm zujubeln. Am schlechtesten wenn sie ihn verachten ...
 Von einem guten Führer, der wenig redet, wenn seine Arbeit getan ist, sein Ziel erreicht ist, werden sie alle sagen: Wir haben es selbst getan.“


  • Laotse, zitiert von Rogers (2005)

Überträgt man den Personzentrieren Ansatz auf die Führung von Organisationen, ist es notwendig (1) das Menschenbild, (2) die Persönlichkeitstheorie und (3) das Beziehungskonzept zugrunde zu legen. Im Zentrum der täglichen Führungsarbeit stehen Dialog und aktives Zuhören.

Zur Aktualität des Personzentrierten Ansatzes

Im Personzentrierten Ansatz wird der Mensch mit all seinen Empfindungen und Beziehungen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt. Der Personzentrierte Ansatz hat als Philosophie, als gelebte Haltung und als faktisches Verhalten eine große Relevanz in der modernen Gesellschaft (Steenbuck, 2005, S. 85). Er ist von seinem Ursprung her kein arbeits- und organisationspsychologischer Ansatz (Siegrist, 2007, S. 108), bietet aber ein differenziertes und wissenschaftlich anerkanntes Modell des Menschen und der menschlichen Entwicklung, das auf die positiven Selbstentwicklungskräfte und die individuellen Ressourcen vertraut. Ergebnisse der systemischen Wissenschaften (von Schippe & Kriz, 2004) und aktuelle Erkenntnisse der Neurobiologie (Lux, 2007) haben die Grundlagen des Personzentrierten Ansatzes weitgehend bestätigt.

Das Menschenbild in einer personzentrierten Organisation

Der Personzentrierte Ansatz ist geprägt vom Glauben an das Gute im Menschen, an seine Selbstentfaltungsmöglichkeiten, seine Tendenz, sich selbst zu entwickeln und zu entfalten; und sein Vermögen, Schwierigkeiten, Probleme und Defizite aus eigener Kraft beheben zu können. Rogers ist der Überzeugung, dass der Mensch seinem eigenen Wesen nach sozial, konstruktiv und vertrauenswürdig ist. Die gleichwertige Begegnung von Mensch zu Mensch ist eine der Grundlagen im Personzentrierten Ansatz.

Das Menschenbild im Person-Centered Leadership basiert auf einem positiven Bild des Menschen. Es geht von der Annahme aus, dass Mitarbeiter in einer Organisation nicht nur arbeiten müssen, sondern auch arbeiten wollen. Das impliziert, dass sie von sich aus nach Verantwortung streben und daher ermuntert werden sollten, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv für die Belange der Organisation zu engagieren. Für Rogers (1974, S. 202) ist die Triebfeder einer Organisation die Motivation, die in jedem Menschen liegt; das Bestreben jedes einzelnen, sich zu entwickeln und zu lernen.

Entwicklung der Führungskraft als Person

Die Aktualisierungstendenz ist ein Axiom im Person-Centered Leadership. Sie beschreibt ein grundlegendes Entwicklungsprinzip des Menschen (Tendenz des Organismus sich zu erhalten und zu erweitern) und steht als Potenzial stets zur Verfügung. Das Vertrauen einer Führungskraft in die Aktualisierungstendenz ihrer Mitarbeiter ist eine wesentliche Voraussetzung für die Wirksamkeit und den Erfolg personzentrierter Führungs- und Interventionsformen. (Kunze, 2006).

Eine personzentrierte Führungskraft sollte bereit und fähig sind, sich kritisch mit sich selbst, ihrem Menschenbild und ihren Einstellungen und Haltungen gegenüber den Mitarbeitern auseinanderzusetzen.

Die Auseinandersetzung mit dem Selbst ist ein weiteres zentrales Element personzentrierter Führung und eine wesentliche Voraussetzung dafür, die eigene höchste Zukunftsmöglichkeit (Selbst-Ideal) zu aktualisieren. In diesem Sinn werden auch die Mitarbeiter unterstützt, sich im Kontext ihres inneren und äußeren (beruflichen) Entwicklungsweges sehen zu lernen und ihre eigene höchste Zukunftsmöglichkeit zu erkunden.

Personzentrierte Führung legt außerdem einen besonderen Schwerpunkt auf die Stärken und individuellen Ressourcen jedes einzelnen Mitarbeiters. Es geht dabei um die Grundfragen der Motivation und der menschlichen Kreativität: Welches Potenzial spüre ich in mir? In den Dienst welcher Sache will ich mich stellen? Woraus schöpfe ich Kraft? Woher kommt meine Energie? Was inspiriert mich? Was sind die wichtigsten Herausforderungen, die meine Arbeit oder mein Privatleben an mich stellen?

Im Person-Centered Leadership hat das Element der Gegenwärtigkeit einen hohen Stellenwert. Jeder Augenblick ist einmalig, Versäumtes lässt sich nicht einfach nachholen. Diese Einmaligkeit erfordert Wachsamkeit. Es gilt, sich der Gegenwart zu stellen. Aber das Leben im Augenblick ist nicht ohne Bezug zu den anderen Dimensionen der Zeit. In personzentrierter Sichtweise muss die Zukunft gegenüber der Vergangenheit das Primat haben. Auch in der täglichen Führungsarbeit ist es notwendig, Entscheidungen stets mit Blick auf die Zukunft zu fällen. Nur aus der Zukunft lässt sich Kraft und Energie für die Gegenwart gewinnen (Schmid, 1994, S. 207).

Meditative Techniken können dabei helfen, die Auseinandersetzung mit dem Selbst zu ermöglichen. Gerade Führungskräfte, die unter hohem (Erfolgs-)Druck stehen und Veränderungsprozesse initiieren wollen, brauchen innere Räume der Ruhe, um leistungs- und widerstandsfähig zu bleiben.

Beziehungsangebot als Grundeinstellung

Personzentriert führen bedeutet, sich auf Beziehungen einzulassen und diese auf personzentrierte Weise zu gestalten. Die Aufgabe einer personzentrierten Führungskraft besteht vor allem darin, ein förderliches Klima zwischen den beteiligten Akteuren zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Organisation und die ihr angehörigen Personen sich im Sinne der Aktualisierungstendenz entwickeln können (Schmid,1996, S. 229).

„Drei Bedingungen sind es, die ein solches entwicklungsförderndes Klima schaffen, ob wir nun von der Beziehung zwischen Therapeut und Klient, Eltern und Kind, Leiter und Gruppe, Lehrer und Schüler oder zwischen Chef und Belegschaft sprechen. Tatsächlich treffen die Bedingungen für jede Situation zu, in der ein Ziel die Entwicklung der Persönlichkeit ist“

  • Rogers (1986)

Nach Rogers sind das die Verwirklichung der beziehungstheoretischen Grundprinzipien (1) Authentizität und Echtheit, (2) wertschätzende Anteilnahme sowie (3) einfühlendes Verstehen. Sie schaffen die Voraussetzungen für konstruktive Begegnungen in der Organisation (Kunze, 2006). Personzentriert zu führen ist eine Frage der grundsätzlichen Haltung der Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern. Ein förderliches Klima wird aber nur dadurch erreicht, dass die Personzentrierte Führungskraft das entsprechende Verhalten verwirklicht. Es reicht nicht, dass darüber gesprochen wird, wie wichtig ein gutes Klima ist, und es genügt auch nicht, es von anderen einzufordern.

  1. Authentizität und Echtheit: Die vielleicht grundlegendste und wichtigste Eigenschaft von Menschen mit Führungsaufgaben ist für Rogers (1974, S. 107) die Authentizität. Wenn eine personzentrierte Führungskraft real ist, wenn sie die Person ist, die sie ist, wenn sie, ohne eine Mauer oder eine Fassade um sich aufzubauen, in Beziehung zu ihren Mitarbeitern tritt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie erfolgreich führen kann. 

Es ist offensichtlich, dass ein solches Verhalten in einem scharfen Kontrast zu der Tendenz der meisten Führungskräfte steht, sich ihren Mitarbeitern gegenüber als definierte Rollen- oder Funktionsträger zu zeigen. Es ist in vielen Organisationen üblich, dass Führungskräfte sich bewusst die Maske, die Rolle, die Fassade der „Führungspersönlichkeit“ aufsetzen, sie den ganzen Tag tragen und erst ablegen, wenn sie abends die Organisation verlassen (Rogers, 1974, S. 108).
  2. Wertschätzende Anteilnahme: Eine weitere grundlegende Haltung einer personzentrierten Führungskraft ist die Fähigkeit, ihre Mitarbeiter wertzuschätzen, sie zu akzeptieren und ihnen zu vertrauen. Durch die Wertschätzung und Anerkennung ihrer Mitarbeiter, ihrer Gefühle, ihrer Meinungen und ihrer Person bringt eine personzentrierte Führungskraft ihr grundlegendes Vertrauen in deren individuelle Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten zum Ausdruck. Entscheidend ist, das Akzeptieren des Mitarbeiters nicht an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen. 

Eine personzentrierte Führungskraft, die eine solche Form der Wertschätzung zum Ausdruck bringt, kann zum Beispiel die Angst und das Zögern eines Mitarbeiters, der vor einer Problemstellung oder Entwicklungsaufgabe steht, ebenso voll akzeptieren wie den Stolz und die Zufriedenheit eines Mitarbeiters, der sein Ziel erreicht hat. In einem Team oder einer Gruppe gilt, sowohl das Team als solches als auch seine einzelnen Akteure zu akzeptieren. Dabei handelt es sich um eine besondere Herausforderung, da die meisten Menschen in einem Team oder einer Gruppe unwillkürlich ihre Sympathien verteilen (Schmid, 1996, S. 253).
  3. Einfühlendes Verstehen: Ein weiteres Element, das ein Klima für selbstinitiiertes, auf Erfahrung beruhendes Arbeiten und Lernen schaffen kann, ist einfühlendes Verstehen. Besitzt eine Führungskraft die Fähigkeit, die Reaktionen eines Mitarbeiters von innen her zu verstehen und hat sie ein sensibles Bewusstsein dafür, wie der Arbeits- und Lernprozess für den Mitarbeiter aussieht, dann kann sie vertiefendes Lernen gezielt unterstützen (Rogers, 1974, S. 113). Empathisches Verstehen gibt der Führungskraft die Freiheit, wie sein Gegenüber zu empfinden und ihn von innen heraus zu verstehen, ohne allerdings die Unterschiedlichkeiten der verschiedenen Rollen und Lebenssituationen zu ignorieren (Schmid, 1996, S. 262).

Diese Art des empathischen Verständnis unterscheidet sich deutlich vom wertenden Verstehen einer Führungskraft, etwa in dem Sinne des „Ich weiß schon, wo es bei Ihnen fehlt“ und kommt in den meisten Organisationen nur selten vor. Wenn dagegen sensibles Einfühlungsvermögen zum Ausdruck kommt, reagiert der Mitarbeiter etwa nach diesem Muster: „Endlich versteht jemand, wie ich mich fühle, wie ich mir vorkomme, ohne dass er mich analysiert oder beurteilen will. Jetzt kann ich endlich zu mir selbst kommen, mich entfalten und lernen“ (Rogers, 1974, S. 113).


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