Personzentrierte Führung

Grundlagen der Personzentrierten Führung

veröffentlicht am %03-%000-%2011

Führung ist ein Grundphänomen menschlicher Entwicklung

Es gibt keine sozialen Systeme, keine menschlichen Gemeinschaften, keine Organisationen, in denen Fragen der Führung, Vorherrschaft, Macht und des Einflusses nicht von Bedeutung sind. Viele Führungskräfte sehen sich heute mit Organisationen konfrontiert, die durch einen hohen Grad an Komplexität gekennzeichnet sind. Die Herausforderungen unterscheiden sich dabei grundsätzlich von den Situationen und Fragen der Vergangenheit.

„Die Welt wandelt sich mit stetig zunehmender Geschwindigkeit. Wenn unsere Gesellschaft der Herausforderung durch die schwindelerregenden Veränderungen in Wissenschaft, Technologie, Kommunikationsmitteln und sozialen Beziehungen begegnen soll, können wir uns nicht auf den Antworten ausruhen, die die Vergangenheit dafür liefert, sondern wir müssen unser Vertrauen in die Prozesse setzen, mit denen man neuen Problemen begegnen kann“

  • Rogers (1974)

Vor allem die fortschreitende Individualisierung unserer Gesellschaft verlangt Konsequenzen in der Führung von Organisationen. Traditionell wird von Mitarbeitern Loyalität und hierarchische Unterordnung verlangt. Organisationen – sei es der Regierung, der Industrie, des Schulwesens oder der Medizin – werden meistens durch hierarchische Machtstrukturen verwaltet. Obwohl die Macht auf verschiedenen Wegen auch von den Regierten nach oben fließt, wird die Organisation gewöhnlich als ein Herrschaftsprozess erlebt, in dem die Kontrolle von oben nach unten ausgeübt wird. Dies kann durch das Medium von Befehlen und Anordnungen erfolgen oder durch selektiv gegebene Belohnungen, wie Beförderungen oder Gehaltszulagen.

Gleichzeitig wird von den Mitarbeitern erwartet, dass die jeweiligen Aufgaben selbstverantwortlich und kreativ gelöst werden. Die Praxis zeigt aber, dass eine auf Unterordnung basierende Führungskultur mit der zunehmenden Individualisierung in Widerspruch steht.

Wie lassen sich also eigenständige Individuen in Organisationen so einbinden, dass die individuellen Potenziale auf ein übergeordnetes Ziel hin zusammenwirken und sich nicht gegenseitig behindern und auslöschen? Wie kann Führungsarbeit gestaltet werden, damit Teams in Organisationen gemeinsam Höchstleistungen erbringen? Was ist zu tun, um Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass Organisationen den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gestärkt begegnen können und dabei die individuellen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt werden?

Drei Thesen für ein personzentriertes Führungskonzept

  • Der Personzentrierte Ansatz eignet sich als konzeptionelle Grundlage für das Führen von und in Organisationen (= Person-Centered Leadership). 

  • Person-Centered Leadership nimmt die Einzigartigkeit jedes einzelnen Mitarbeiters einer Organisation als individuell existierende Person in den Blick. 

  • Person-Centered Leadership schafft Bedingungen, um das persönliche und berufliche Wachstum der Mitarbeiter einer Organisation – im Sinne der Aktualisierungstendenz – zu unterstützen. 


Die Ideen und Konzepte einer dialogischen Führung, die Carl Rogers und Thomas Gordon Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben, waren zu ihrer Zeit revolutionär. Generationen von Management-Vordenkern wie Douglas McGregor, Kurt Lewin, Chris Argyris, Warren Bennis, Ed Schein, Peter Senge oder Otto Scharmer wurden durch sie beeinflusst. Bis heute haben diese frühen Ansätze nichts an ihrer Aktualität verloren. Ganz im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass die fortschreitende Individualisierung in unserer Gesellschaft eine neue Form der Führung von Organisationen verlangt. Eine auf Unterordnung basierende Führungskultur ist den Herausforderungen zunehmender Individualisierungstendenzen in einer globalisierten und vernetzten Umwelt nicht mehr gewachsen.

Theoretische Grundlagen

Carl Rogers war einer der führenden Vertreter der in Amerika entwickelten Humanistischen Psychologie. Rogers hat viele Jahre seines Lebens in verantwortlichen Positionen Projekt- und Personalgruppen geleitet. So war er unter anderem für ein großes Beratungszentrum mit über 40 Mitarbeitern (Center for the Studies of the Person) und für verschiedenste Forschungsgruppen (z. B. an der Universität von Chicago) verantwortlich. Rogers hat dabei Führen und Leiten von Teams und Gruppen in Organisationen „auf harte Weise direkt in der Praxis gelernt“.

Im Folgenden werden wesentliche Erkenntnisse des von ihm begründeten Personzentrierten Ansatzes auf die Führungsarbeit in Organisationen übertragen. Der Personzentrierte Ansatz wird als Metatheorie für eine konstruktive und kreative zwischenmenschliche Kommunikation angesehen. Als solcher bietet er eine ganzheitliche Basis, um den vielfältigen organisatorischen Herausforderungen der Gegenwart wirkungsvoll zu begegnen. Die gleichwertige Begegnung von Mensch zu Mensch ist eine der Grundlagen im Personzentrierten Ansatz. Überträgt man den Personzentrierten Ansatz auf die Mitarbeiterführung, ist es notwendig, das Menschenbild, die Persönlichkeitstheorie sowie das Beziehungskonzept zugrunde zu legen.

So entsteht das Konzept des Person-Centered Leadership, durch das die Mitarbeiter einer Organisation die Fähigkeiten erwerben, Lern- und Arbeitsprozesse selbst zu wählen, zu steuern und ihre Projekte gemeinsam zum Erfolg zu führen. Die Personzentrierte Führungskraft hat dabei eine helfende und fördernde Funktion. Sie schafft vor allem eine Atmosphäre der Freiheit und des Vertrauens, in der sich diese neue Art der Zusammenarbeit entwickeln kann.

Bei der wissenschaftlichen Sichtung aktueller Führungs- und Change-Management-Konzepte entsteht der Eindruck, dass Carl Rogers fast vergessen ist. Dabei ist die Anwendung dialogischer Konzepte in Organisationen aktueller und populärer als jemals zuvor. Der Personzentrierte Ansatz hat als Philosophie, als gelebte Haltung und als faktisches Verhalten eine große Relevanz in der modernen Gesellschaft.

Das Selbst ist eines der wichtigsten Begriffe im Personzentrierten Ansatz. Das Selbst setzt sich nach der Definition Rogers aus den Wahrnehmungen einer Person von ihren Eigenschaften, von ihren Beziehungen zu anderen, von ihren Beziehungen zu verschiedenen Aspekten des Lebens sowie von bewussten oder bewusstseinsfähigen Bewertungen, die mit diesen Wahrnehmungen verbunden sind, zusammen. Als Kongruenz/Inkongruenz wird im Personzentrierten Ansatz bezeichnet, in wie weit bei einer Person ihre Erfahrung mit deren Symbolisierung im Selbst übereinstimmt. So besteht Kongruenz, wenn die Erfahrungen des Organismus samt deren Bewertungen vollständig und genau symbolisiert werden. Die Erfahrungen werden dann in das eigene Selbstbild integriert und stellen keine Bedrohung für das Selbstkonzept dar. Der Mensch empfindet sich als „mit sich selbst im Einklang“, also in einem weitgehend ausgeglichenen und sicheren Zustand. Im Falle der Inkongruenz wird das Selbst mit seinen Inhalten durch die Erfahrung in Frage gestellt und bedroht. Mit zunehmender Inkongruenz erhöht sich die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen. Im Arbeitsalltag zeigt sich dies durch Burn-out-Syndrome, innere Kündigungen, chronischen Zeitmangel und andere aktuelle Phänomene.

Der Mensch in der Organisation

Rogers ist der Ansicht, dass jede Organisation im Laufe der Zeit routineartige und bürokratische Arbeitsweisen entwickelt. Er bezeichnet dieses Phänomen als Tendenz einer Organisation, sich zu verewigen.

„Ein weiteres der Bürokratie anhaftendes Element ist die Tendenz, nur weil eine Organisation gegründet wurde, so zu tun, als sollte sie ewig bestehen. Nur auf Zeit eingerichtete Ausschüsse werden zu Dauereinrichtungen. Wir sagen, die Organisation tendiert dahin, sich zu verewigen. Genauer wäre zu sagen, die Personen in der Organisation sind bestrebt, den Status Quo aufrechtzuerhalten, anstatt sich zu bemühen, ihre ursprünglichen Ziele zu erreichen“.

  • Rogers (1984)

Damit die Organisation ihren Status-Quo erhalten kann, wird in den meisten Unternehmen und Institutionen der einzelne Mitarbeiter im instrumentellen Sinne den Zielen der Organisation untergeordnet. Damit wird grundsätzlich unterstellt, dass die Anpassung des Einzelnen an die Organisation erfolgen muss. Um dies zu gewährleisten, setzen Organisationen üblicherweise unterschiedlichste Kontrollformen ein. Dies kann unter anderem durch das Medium von Befehlen und Anordnungen erfolgen oder durch selektiv gegebene Belohnungen oder Gehaltszulagen.

In der Arbeits- und Organisationspsychologie werden unter Menschenbildern Axiome über das Verhalten und Erleben von Menschen verstanden. Abhängig vom zugrunde liegenden Menschenbild werden Mitarbeiter zum Beispiel als Individuen betrachtet, die bei der Arbeit in jedem kleinen Schritt angeleitet werden müssen. Menschen können aber auch als Mitglieder einer sozialen Gruppe wahrgenommen werden, für die zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz gewährleistet sein müssen. Dementsprechend werden Organisationen als Einrichtungen gestaltet, in denen entweder jedes einzelne Mitglied stark kontrolliert oder Verantwortung delegiert wird.

Das Menschenbild, das innerhalb einer Organisation herrscht, stellt die Leitidee für die Konstruktion der Strukturen dar. Dabei sind Annahmen über den Menschen einem ständigen Wandel unterworfen. Im Verlauf unseres Industriezeitalters und in der Wirtschaftswelt haben bis heute im Wesentlichen vier Menschenbilder eine solche Leitfunktion gehabt.

Die Sichtweise des Homo Oeconomicus wurde vor dem Hintergrund entwickelt, dass Menschen über knappe Ressourcen verfügen. Aus diesem Grund müssen Entscheidungen über die Nutzung der Ressourcen getroffen werden, um verschiedene Ziele zu erreichen. Diese Entscheidungen laufen rational, das heißt, den Gesetzen der Logik entsprechend ab. Geld, Zeit und Energie werden so eingesetzt, dass ihr Einsatz den eigenen, oft egoistischen Nutzen maximiert. Für den Social Man sind soziale Anreize wie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Eingebundensein in soziale Beziehungen von hoher Bedeutung und motivierend. Sein Arbeitsverhalten wird stark von den sozialen Normen seiner Arbeitsgruppe beeinflusst.

Zwischen den späten 1950er und 1970er Jahren setzte sich das Menschenbild des Self Actualizing Man durch. Der Fokus der Aufmerksamkeit wanderte wieder von der Gruppe zum Individuum. Anders als zu der Zeit des Homo Oeconomicus wird dem Menschen nun eine Vielfalt von Bedürfnissen zugeschrieben, die durch die Arbeit befriedigt werden sollen. Der Self Actualizing Man ist durch ein intensives Streben nach Autonomie und Selbstgestaltung gekennzeichnet. Er ist in seiner Arbeit durch Handlungs-, Gestaltungs- und Entscheidungsfreiräume hoch motivierbar. Der Complex Man verbindet die verschiedenen Motivationsebenen miteinander. Das Konzept geht davon aus, dass es kein generell gültiges Bild vom Menschen gibt; sondern nur in unterschiedlichen Situationen individuell handelnde, einzigartige Menschen. Diese Menschen haben nicht nur verschiedene, sondern auch einem Wandel unterliegende Bedürfnisse.

Vieles spricht dafür, dass das Menschenbild des Complex Man der Realität sehr nahe kommt. Es stellt hohe Ansprüche an Führungskräfte und ihre Fähigkeiten zu situativer Führung).

Führung in Organisationen

Viele mitarbeiterorientierte Unternehmen fühlen sich heute dem Menschenbild der Humanistischen Psychologie verpflichtet. Das Menschenbild der Humanistischen Psychologie geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus fähig ist, für sich selbst und sein Leben Verantwortung zu übernehmen, dass alle Menschen – jeder in seiner Art – gleich wertvoll sind und dass Menschen den Wunsch in sich tragen, sich selbst zu entwickeln und zu entfalten. Auch in der Arbeit.

Die üblichen sozialpsychologischen Definitionen bezeichnen Führen als das Bemühen eines Teammitgliedes, das Verhalten anderer Mitglieder zu lenken und zu verändern. Mit dem Führen oder Leiten in einer Organisation werden Tätigkeiten verbunden, wie Ziele setzen, organisieren, Ordnung und Atmosphäre schaffen, dafür Sorge tragen, dass die Gruppe funktioniert und ihre Aufgaben erfüllen kann, die Mitglieder motivieren, Einzelbedürfnisse und -tätigkeiten koordinieren und auf ein gemeinsames Ziel ausrichten, auch abweichendes Verhalten sanktionieren und ähnliches.

Führen heißt, Macht und Einfluss auf andere zu haben und auszuüben. „Führung wird gewöhnlich wahrgenommen als eine Funktion oder eine Gruppe von Funktionen, die von einem einzelnen Mitglied einer Gruppe ausgeführt wird. In diesem Zusammenhang gilt Führung sehr oft als eine Rolle, die durch den Erwerb bestimmter stereotyper Führer-Qualitäten oder -Fertigkeiten erlangt wird“ (Gordon, 2005, S. 295).

Schmid versteht Führung als situationsbedingtes und dynamisches Interaktionsgeschehen zwischen den Organisationsmitgliedern und der Führungsebene. Der Führende wird von der Gruppe her definiert und die Aufgabe der Führung besteht darin, zu erkennen, welche Funktionen in der Gruppe übernommen werden müssen, damit sie ihr Ziel erreicht und ihre Einheit bewahrt.

Selbstverständnis der personzentrierten Führungskraft

Zum Selbstverständnis einer personzentrierten Führungskraft gehört das Vertrauen in die Aktualisierungstendenz der Mitarbeiter und des Teams. Die Funktion einer personzentrierten Führungskraft besteht darin, sich als Person so in die Organisation einzubringen, dass diese und die ihr angehörigen Personen sich im Sinne der Aktualisierungstendenz entwickeln können. „Die Aufgabe der Führung ist, die organisatorischen Bedingungen und die Verfahrensweisen so zu arrangieren, dass die Beteiligten ihre eigenen Ziele bestmöglich erreichen und dabei auch die gemeinschaftlich definierten Ziele der Institution fördern können. Administration wird so aufgefasst, dass ihre Aufgabe hauptsächlich darin besteht, Hindernisse wie den ‚Papierkrieg’ aus dem Weg zu räumen; Entfaltung und Veränderung zu ermutigen (...) und eine Atmosphäre hervorzubringen, in der jeder einzelne überzeugt davon sein kann, dass sein Potential hochgeschätzt, dass seiner Verantwortungsfähigkeit vertraut wird und dass seine kreativen
Fähigkeiten gewürdigt werden“ (Rogers, 1974, S. 202 f.).

Was immer eine Führungskraft in einer Organisation tut, sie bringt damit zum Ausdruck, aus welchem Menschenbild heraus sie handelt. Es ist daher für jeden, der diese Aufgabe in einer Organisation erfüllen möchte, unerlässlich sich mit seinen eigenen Vorstellungen auseinanderzusetzen: Was bedeutet für mich helfen? Was heißt für mich führen? Wie beurteile ich die Entwicklung eines Menschen? Wie sollten personale Beziehungen in meiner Organisation beschaffen sein?

Als personzentrierte Führungskraft sollte man sich selbst folgende Fragen beantworten: Traue ich meinen Mitarbeitern und Teams zu, ihre Aufgaben eigenverantwortlich zu erfüllen und ihre Ziele selbstgesteuert zu erreichen? Was benötigt jeder Mitarbeiter an Unterstützung, Information, Förderung, Ressourcen, Aufgaben, um weiteres Potenzial zu entfalten? Schmid (1996, S. 220) ist der Ansicht, dass eine personzentrierte Führungskraft ein radikal anderes Verständnis von Team- und Gruppenleitung hat, als das üblicherweise der Fall ist. Dieses Verständnis hat vor allem etwas mit den Bedingungen zu tun, die sie ihren Mitarbeitern anbietet.

Personzentriert zu führen bedeutet, sich auf Beziehungen einzulassen und diese auf personzentrierte Weise zu gestalten. Die Aufgabe einer personzentrierten Führungskraft besteht darin, ein förderliches Klima in der Organisation zu schaffen und dafür Sorge zu tragen, dass die Teams und die ihnen angehörigen Personen sich im Sinne der Aktualisierungstendenz entwickeln können. Das Klima in einer Organisation ist nach personzentriertem Verständnis von zentraler Bedeutung. Nur eine nicht-bedrohliche Atmosphäre bietet die Voraussetzung dafür, dass sich die potenziell vorhandenen Fähigkeiten und konstruktiven Kräfte der Mitarbeiter aktualisieren. Entscheidend für die Tätigkeit einer personzentrierten Führungskraft ist, eine Atmosphäre der Sicherheit und Offenheit herzustellen, die es den Mitarbeitern auch ermöglicht, ein Risiko einzugehen und etwas Neues zu wagen (Schmid, 1996, S. 242). Nach Rogers sind das die Verwirklichung der beziehungstheoretischen Grundprinzipien (1) Authentizität und Echtheit, (2) wertschätzende Anteilnahme sowie (3) einfühlendes Verstehen. Sie schaffen als Grundhaltung der personzentrierten Führungskraft die Voraussetzung für konstruktive Begegnungen in der Organisation (Kunze, 2006).

Ein im Sinne dieser Auffassung förderliches Klima wird aber nur dadurch erreicht, dass die personzentrierte Führungskraft das entsprechende Verhalten verwirklicht. Es reicht nicht, dass darüber gesprochen wird, wie wichtig ein gutes Klima wäre, oder es von anderen einzufordern. Personzentriert zu führen ist eine Frage der Haltung der Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern. Es geht nicht um einzelne Handlungen oder Interventionen, sondern um die Gesamthaltung der Führungskraft. Es ist offensichtlich, dass ein solches Verhalten, das sich in der Psychotherapie als effektiv herausgestellt hat, in einem scharfen Kontrast zu der Tendenz der meisten klassischen Führungskräften steht, sich ihren Mitarbeitern gegenüber als (starre) Rollen- oder Funktionsträger zu zeigen. Es ist in unserer Gesellschaft üblich, dass Führungskräfte sich bewusst die Maske, die Rolle, die Fassade der „Führungspersönlichkeit“ aufsetzen, sie den ganzen Tag tragen und erst ablegen, wenn sie abends die Organisation verlassen (Rogers, 1974, S. 108).

Fazit

Im Person-Centered Leadership geht es darum, Bedingungen herzustellen, unter denen sich die Aktualisierungstendenz der Mitarbeiter möglichst gut entfalten kann. Personzentrierte Führung beinhaltet immer ein Beziehungsangebot an die Mitarbeiter. Die Qualität der Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ist von entscheidender Bedeutung für alle Arbeitsprozesse in Organisationen, vor allem aber für die Entwicklung von kreativen Veränderungsprozessen. Damit sich ein wirkungsvoller und nachhaltiger Dialog entfalten kann, müssen die beteiligten Personen in Kontakt sein und sich gegenseitig auch auf der emotionalen Ebene berühren. Die personzentrierte Führungskraft begegnet ihren Mitarbeitern mit den Grundhaltungen Kongruenz, Empathie und Akzeptanz.

Der Personzentrierte Ansatz ist in seinem Ursprung kein arbeits- und organisationspsychologischer Ansatz. Er bietet ein Modell des Menschen und der menschlichen Entwicklung, das auf die Selbstentwicklungskräfte und die menschlichen Ressourcen vertraut und den Menschen mit all seinen Empfindungen und Beziehungen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt.

Führung auf Basis des Personzentrierten Ansatz ermöglicht es, Veränderungen in Organisationen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter befähigt werden, den aktuellen und künftigen Herausforderungen gestärkt zu begegnen. Mit Person-Centered Leadership wird es möglich, die Ziele einer Organisation ergebnisorientiert zu verfolgen und dabei die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen der Menschen zu berücksichtigen. „Ich entdeckte die ungeheure Bedeutung persönlicher Gefühle für die Lösung administrativer Probleme. Oft verschwendete der Stab Stunden (so schien es jedenfalls) mit der Diskussion von Bagatellen, bis ein scharfsichtiges Mitglied die dem Problem zugrunde liegenden Gefühle erfasste und aussprach – eine persönliche Animosität, ein Gefühl der Unsicherheit, eine Rivalität zwischen zwei Führungsaspiranten oder bloß die Ressentiments von irgend jemanden, der sich noch nie richtig Gehör verschafft hatte. Sobald die Gefühle offen zutage lagen, schrumpfte die Streitfrage, die so wichtig erschienen war, zu einem Nichts zusammen. Funktionierte jedoch die Kommunikation der Mitglieder untereinander, konnten gewichtige Fragen, wie die Verteilung der Haushaltsmittel für das folgenden Jahr, die Wahl eines Koordinators oder die Annahme eines wichtigen Programmpunktes, in wenigen Minuten entschieden werden“ (Rogers, 1980, S. 112).
Die weitgehende Bestätigung von Rogers Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen (Rogers, 2002) durch die systemische Wissenschaft (Schlippe & Kriz, 2004) und durch aktuelle Erkenntnisse der Neurobiologie (Lux, 2007) ermutigen dazu, sich intensiver mit der Übertragung des Personzentrierten Ansatzes auf die Arbeit in Organisationen zu beschäftigen.

Es ist notwendig, ein gesellschaftliches Klima zu entwickeln, das Veränderungen möglich macht. Es sollte ein gesellschaftliches Ziel sein, Individuen zu entwickeln, die dem Wandel gegenüber offen sind. Der Dreh- und Angelpunkt von Person-Centered Leadership liegt in der Auseinandersetzung mit dem Selbst und der Förderung selbstgesteuerten Arbeitens. Nur wenn es gelingt, den „schöpferischen Menschen zu entwickeln, der gegenüber all seiner Erfahrung offen und sich ihrer bewusst ist, der sie akzeptiert und der selbst in einem ständigen Wandlungsprozess steht“, dann ist es möglich, die kreative Organisation hervorzubringen, die sich ebenfalls ständig in einem Prozess der Veränderung befindet.

Quelle

Wüntsch, O. (2009). Person-Centered Leadership – Der Personzentrierte Ansatz als Grundlage für ein ganzheitliches Führungskonzept in Organisationen. In: Personzentrierte Beratung. Beiträge zur Fundierung professioneller Praxis. GwG-Verlag. S. 217–241.

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